10. und 12. Mai 2018
12. Mai. Ein dunkler und steiler Weg heute morgen, hoch zur Kreuzung am Birkenkopf, zuerst noch recht morgenkühl hier im Wald. Gut, denkt man, das Schwierigste gleich zuerst… Aber – das kann auch voreilig sein!
Und am 10. Mai, also erst vorgestern, hatte ich ein bereits länger angestrebtes Ergebnis erreicht. Die erste Tour nach zehn schwierigen, erlebnisreichen und herrlichen Jahren Prothesenwanderhobby. Und endlich, seit Juli letzten Jahres, gelangen mir das erste mal wieder die geliebten 13 Kilometer hinter die Schuhsohlen zu schieben. Also, denkt man, so könnte das jetzt weitergehen! Bereits um 4:50 Uhr zog ich los, im Dämmerlicht. Eigentlich ein gelungener Blödsinn. Es soll aber sehr warm werden, der Schaft wird abwärts gleiten, das Bein streckt sich länger und länger… Die Lösung gegen den Schweiß – früh raus, Haustüre zu und ab durch den Park der Villa Berg, den unteren Schlossgarten, über den Neckar zur Cannstatter Seite, vorbei an den hochkreativen Sprühkunstwerken, die ich mehr bewundern kann als die neue Bahnbrückenbaustelle; mal sehen, ob da heute zehn Kilometer draus werden (möglichst dreizehn mag ich halt, und zwar gerne sechs bis achtmal im Monat). Alles wird dadurch einfacher, gesünder, mit einem entschieden besseren Gefühl anstatt als abgehangener Rentner mit ebensolchen Mundwinkeln vorm PC die Tage nur noch zu verglotzen.
Einfach herrlich, diese Kühle, besonders oben an den Armen. Ich würde mir die Ärmel extra hochkrempeln, wenn sie nicht schon kurz genug wären! Shorts und lange Hemdsärmel, das geht doch nicht! Weiter den Neckar abwärts, wieder linksseitig am Hang der Weinberge entlang, wo die jetzt nicht mehr aktuellen Schilder der Besenwirtschaften auf die nächste Testsaison warten. Dann war meine Strecke also doch länger geworden, als ich an der Haltestelle Auwiesen ankam.
Und heute am 10. Mai, zwei Tage danach, will ich das wiederholen. Start am Westbahnhof. Neben dem Birkenkopf münde ich in die Bürgerallee, ein breiter Waldweg führt mich durch weite Wälder. Jetzt glitzern auch einzelne helle Blätter von links herauf. Ein seitlich einmündender Weg ist grell durchstrahlt von der Morgensonne. Gute Stimmung, innen und außen!
Gelegentlich sind Jogger unterwegs. Einer scheint es besonders eilig zu haben. „Schneller, das Frühstück wartet!“, kann ich mir nicht verkneifen. Irgendwas Zustimmendes höre ich, während er weiterstürmt. Ich hatte also recht. Gleich darauf durchwate ich rechts das restliche Herbstlaub des flachen Grabens, erklimme den Sitz einer Bank und nehme meinen zweiten Frühdrink. Meine unterschiedlich schönen Knie imitieren den Frühstückstisch. Diesen Eiligen vorhin, den hätte ich eigentlich zu einem Energieschub einladen können!
Am Pfaffensee plane ich die Runde um das östliche Ende ein. Denn hier kommt mir das Licht ein kurzes Stück entgegen und bietet mir gut durchleuchtete Motive. Einige der Uferbäume werden mit der Zeit sichtbar schlapp an der Wurzel, wenn das Erdreich bröckelt. Viele dünne Ärmchen stemmen sich im See gegen das Ersäufnis. Noch steht manchen das Wasser nicht bis zur Krone.
Diese Uferwege sind ein vorzüglich geeigneter Parcours: An der Brücke überlege ich, soll ich gleich rüber zu den zwei Stück Kuchen, die mir quer in der Vorstellung schweben, noch ohne Gerüche zu verschwenden, mir aber die klare Sichtweise versperren? Doch jetzt bin ich immer noch zu früh dran, das Bärenschlössle erwartet den Ansturm des Bäckers und der Gäste erst etwas später.
Bald nach der Staumauer bekomme ich Appetietsstau und biege links hinauf. Die Schattenallee in westlicher Richtung geht an der Grillstelle am Schattentor vorbei. Doch sie ist samt der Bänke eingegattert; der Graben an der Wegkreuzung bietet mir eine geeignete, nur halbbeschattete Sitzfläche an. So schmeckt es sich, weil gestaut, jedenfalls ebenfalls gleichfalls!
Schnurgerade ist jetzt der Weg. Da ein Querweg vor dichtem Wald. Ich denke, hier sollte es doch noch weitergehen? Aha, eine Trittspur beginnt kaum sichtbar. Sanft streichelt mich etwas am linken Knie. Eine halbwüchsige Brennnessel macht einen Beciercungsversuch. Doch gleich ruft mich ein Kratzer im Gesicht zur Ordnung; hier hängen dürre Äste tief zwischen einigen grünen Buchenzweigen, verhaken sich am Rucksack, sogar bis zu den Kniekehlen. Und die Unterholzmücken, bleiche Motten und noch weitere insektoide Flatterwesen entdecken ein frisches Opfer. In engen buckligen Schleifen windet sich der Pfad durch die Unterholzdämmerung. Jede Menge Spinnwebereien wehen mir um die Nasenflügel, bilden Kletterseile zwischen den Ohrschlappen, ohne mich aber deutlich auszubremsen. Viel dünnes Jungholz steht hier, dazwischen ein prächtiges Kontrastexemplar einer dicken Eiche. Gegenüber an einem halbdicken Stamm, halbverblichen, ein Wanderwegzeichen. Ich bin doch richtig hier! Nur paar matschige Gräben noch und es folgt der Hochwald, ein Stammstapel liegt quer, dort geht’s rechts unbemückt kiesig weiter auf der Kaufhausallee. Die junge Streichelnessel vorhin, die hatte doch nicht die richtige Dosis Brenn- bzw. Reizstoff geladen!
Diese Wege erkenne ich jetzt wieder, da bin ich doch schon 2014 auf der Spirale gelaufen. Als ich von Büsnau aus nach Weilimdorf zur S-Bahn wollte. Jetzt nochmal links ab in die Bärenseeallee. Schöne Wegnamen hier. Lange langsam ansteigend die Waldstraße und da steht schon die Schutzhütte, mit der Sitzgruppe davor, gerade recht, um den nächsten Hunger und Durst nicht zu vergessen.
Der Pfad ins Krummbachtal krümmt sich fast um 180 Grad, schmal und steinig, mit abfälligem Erdanziehungsbeschleunigungsgefühl. Ohne die Stöcke würde ich hier zum Harzer Roller, und das fände ich Käse! Erst unten spüre ich entzündliche Stellen am Stumpfende. Das kommt sicher von der Bremskraftverstärkung eben. Unvermittelt kann ich kaum noch belasten. Vorhin war nie nichts dergleichen! Ich setze mich auf die schattige Böschung rechts des Fußweges neben der Talstraße. Eine letzte schluckbare Rucksackerleichterung zum verbesserten Nachdenken. Nein, die 13 sind’s heute nicht! Jetzt nur „flott“ zum Bus!
Das Schwierigste also zuletzt. Nicht so gut! Aber wer weiß am Morgen schon, was der Abend Schönes auf Lager hat? Also schiebe ich die restlichen Knöchelchen l a n g s a m Schritt für Schritt gleich das Tälchen weiter hinauf, obwohl ich doch eigentlich noch bis Gerlingen Ramtel wollte. Möglichst schweben sollte man! Autsch! Heftigkeit ist das Verbot! Heute und sicherlich die nächsten Tage!
Die Haltestelle in der Solitudestraße habe ich nicht zu spät erreicht, der Busfahrer hat sich nicht verfrüht. Und das elfte Jahr hat ja gerade erst angefangen!